Kaiserin meines Lebens

Kaiserin meines Lebens

Ich bin plötzlich mittendrin. Spüre nur noch die irren Ideen, die in mir toben, die mich antreiben, die meine Geschichte erzählen. Eine Geschichte, in der ich nicht mehr anknüpfen kann an die reale Welt. Ein Geschehen, in dem ich mich langsam loslöse von den realen Menschen um mich herum, von den echten Dingen, die mich umgeben, von den existierenden Zusammenhängen um mich herum, von den Prozessen, die sich abspielen. Von all dem merke ich nichts. Ich habe nichts mehr unter Kontrolle. Als Mensch hast du nicht alles unter Kontrolle.           

Es gibt diesen Hotelraum, diese exquisite Superior Suite in einem erstklassigen Hotel am Berg, in der Nähe der österreichischen Grenze. Das Hotel hatten mein brandneuer Ehemann und ich uns für unsere Flitterwochen ausgesucht. Ich wollte mich ausruhen nach den anstrengenden letzten Monaten. Die Arbeit beim Präsidenten der Universität, mein dreijähriges Kind und all die Vorbereitungen für die Hochzeit, die ich die letzten drei Monate bis zum Exzess betrieben hatte. Gefolgt war ein ausschweifendes Fest mit 120 Gästen, mit Kirche und Blumenmädchen, mit Posaunenklängen auf dem Schlosshof, mit Luftballons und Feuerwerk, Sahnetorten, Festessen und Tanz bis nachts um vier. Ein Hotel zum Ausruhen sollte es sein, zum Aneinanderschmiegen, zum Vögeln, zum Saunieren. Zwischendurch Wanderungen auf die Berge der Umgebung. All das verschwamm in den ersten Tagen in diesem Hotel, verband sich mit dem Klirren der Fahnenstangen auf dem hoteleigenen Parkplatz und den sorgenvollen Falten im Gesicht meines Bräutigams.

            Ich konnte nichts mehr steuern, ich trieb einfach dahin in meinen eigenen Traumgespinsten, in meinen Assoziationen, in meinem wild fabulierenden Unterbewusstsein. Ich steigerte mich zunehmend in allerlei Geschichten und Interpretationen über meine Umwelt hinein. Der bärtige Mann am Nebentisch in Restaurant des Hotels wurde in meiner Welt zum Verleger meines Buches. Mit ihm war ich nachts zur Geisterstunde verabredet, um mein Buch im Unterholz des nahegelegenen Waldes auszugraben. Daraufhin sollte im Hotel ein großes Fest stattfinden. Es sollte darum gehen, meinen neuen Roman zu feiern. Er hieß „Wie ich eines Morgens im April das 100%ige Mädchen sah“, und ich war niemand geringerer als Haruki Murakami. Journalisten würden anwesend sein, Celebrities aus Film und Fernsehen, Influencer:innen, die meinem neuesten Werk zu Ruhm verhelfen würden. Der Mann an meiner Seite würde all die Arbeit im Hintergrund verrichten, die für ein erfolgreiches Leben als Schriftstellerin nötig wäre. Das Essen kochen, das Haus instand halten, sich um alles kümmern.

            Von all dem merkte ich nichts. Ich hatte nichts mehr unter Kontrolle. Als Mensch hast du nicht alles unter Kontrolle. Es liegt nicht alles in deiner Hand. Manche Kräfte sind stärker als du selbst. All das verstand ich erst sehr viel später.

            Es kann nicht sein. Ich will das so nicht hinnehmen. Dass ich meinem Körper so ausgeliefert bin. Dass ich Zustände erleben muss, in denen meine Transmitter Kinderkarussell spielen. Und zwar so, dass alle Kinder nach und nach von ihren Pferdchen und von ihren Elefanten geschleudert werden. So lange durch die Luft wirbeln, bis sie mit einem harten Aufprall am Boden des Jahrmarktes liegen bleiben. Möglicherweise mit zerschmettertem Kopf. Meine Synapsen funktionieren nicht einwandfrei. Treiben mich in Zustände, in denen ich die Realität nicht mehr richtig erfasse, sie nicht mehr richtig deuten kann. Mich angeblich nicht mehr zurechtfinde. Aber was ist schon Realität? Meine Realität spielt sich in meinem Kopf ab, genauso wie Karls Realität sich in Karls Kopf abspielt und Hannas in Hannas Kopf. Ich wollte nicht hinnehmen, dass es in meinem Leben Phasen gibt, in denen gar nichts mehr geht. Ich bin stärker als mein Körper, ich bin stärker als meine neuronalen Verknüpfungen. Mit ausreichend Übung würde ich eines Tages in der Lage sein, meinen Körper auszutricksen. Ich bin die Kaiserin meines Lebens. Ich trage Zepter und Krone, ich steuere meine Entwicklung und mit den richtigen Medikamenten würde ich die Kontrolle über mein Leben wiedergewinnen. Ich will diesen Gedichtband schreiben. Ich schreibe diesen Gedichtband. Ich will dieses Kind kriegen, ich kriege dieses Kind. Ich will diesen Wettbewerb gewinnen, ich gewinne diesen Wettbewerb. Es kann nicht sein, dass ich einer sogenannten Höheren Macht ausgeliefert bin. Wer ist schon Gott? Wer hat das Schicksal erfunden? Und hat die Natur Kräfte, die mich überwältigen können? Kann ich mit meinem Willen, meiner Kraft, meiner Disziplin alles steuern? Den Verlauf der Welt bestimmen, die Abfolge der Ereignisse planen, sodass alles nach meinem Kopf läuft? Könnte ich mit genug Geld und Macht nicht Herrscherin dieses jämmerlichen Planeten werden? Alles so steuern, dass endlich alles gut wird? Liegt es nicht an mir selbst, ob ich Göttin werden will oder nicht? Alles kontrollieren kann?

© Friederike Hermanni, 2024

Veröffentlicht inProsa

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